Fortsetzung:

Mittwoch. 17. September

Hans- Jürgen hat Durchfall, aber dank der Kohletabletten geht es schon wieder. Wir haben mal so überlegt. Eigentlich kann das nur an dem kulinarischen Imbiss im Flugzeug liegen.

Es regnet nicht mehr und die Vögel  singen wieder. Über die Farbe des Himmels schreibe ich lieber nichts. Also fahren wir los. Richtung Rio Zentrum. Die Berge liegen in den Wolken. Wir sehen nur die verstopften Straßen und die hohen Häuser. Dann fährt José  in ein Naturschutzgebiet. Bergurwald nennt man das hier. Es geht höher und steiler und noch steiler hinauf. Unser Auto schafft es nicht und rutscht rückwärts wieder hinunter.  Ich halte die Luft an.  Alles geht gut. Wir schaffen es. Lianen hängen von den Bäumen. Auf den Ästen haben sich Orchideen eingerichtet.  Hier leben Affen, Fledermäuse, viele Vogelarten und Insekten und Schlangen.  Ungewöhnliche Früchte hängen an den Bäumen. Andere blühen in zartem rosa oder gelb. Ganze Teppiche von Fleißigen Lieschen wachsen am Felsenrand. Wir fahren zu einer Flugdrachenstation. Vor uns liegt ein traumhaftes Panorama. Weißer langer Strand, kleine Inseln im Meer  und leider viele Hotels und Wohnhäuser.  Wir können uns gar nicht satt sehen. Wir sehen das erste Mal den „Christo“ .Einige Drachenflieger segeln über uns hinab in die Tiefe. Einen Augenblick überlegen wir. Sollen wir vielleicht auch mal? Wir haben zu viel Angst und bleiben lieber am Boden.

Unser erster Eindruck von Rio ist nicht besonders positiv. Es herrscht ein absolutes Verkehrschaos. Das ist wohl auch diesem völlig undurchschaubaren Straßenbau zu verdanken. Es gibt keine S- oder U- Bahn. Die meisten Hochhäuser sind 12stöckig, viele haben aber auch die doppelte Höhe. Dazwischen dichtgedrängt Geschäfte und viele bemalte Mauern.  Die vielen Favelas liegen mehr hinter den Hochhäusern und am Rand, da wo man normalerweise nicht bauen würde.  Wir kommen an die Copacabana, dem bekanntesten Strand Brasiliens. Er ist ganz weiß, ganz breit und es gibt keine Muscheln. Eine breite Strandstraße schließt sich an und dann ein Hotel und Wohnhaus an dem anderen. Dies ist auch die teuerste Wohngegend Brasiliens.  Wir suchen einen Parkplatz und gehen an den Strand. Es ist nicht viel los. Für die Brasilianer ist es einfach zu kalt. Wir haben nur 2O Grad.

Die Wellen schlagen hoch. Wir setzen uns in den Sand und genießen  einfach nur diesen Augenblick. Genau gegenüber suchen wir ein Restaurant auf und bestellen Pizza.  Fünf ältere rundliche Herren bedienen. Es schmeckt sehr gut, aber wir sind doch ein bisschen von den anderen Gästen abgelenkt. „Hier gibt es viel Prostitution“,   flüstert  Hercilia  uns zu. Hatten wir uns auch schon gedacht. Da kommt eine Frau auf uns zu, redet ein bisschen mit Hercilia  und überreicht uns einen Umschlag. Den sollen wir mit nach Deutschland nehmen. Sorglos stecke ich ihn in meinen Rucksack. Briefe vermute ich. Wir bezahlen und fahren weiter. Jetzt geht es zum Christo, dem Wahrzeichen der Stadt. Diese Statur ist 38m hoch, wiegt 1145 Tonnen und die Spannweite der Arme beträgt 28m. Wir fahren so weit es geht mit dem Auto hinauf. Dann zahlen wir 13 Reais pro Person und steigen in einen Kleinbus. Unsere Begleiter bleiben zurück. Sie sind schon so oft da oben gewesen und   José          muss noch einige Telefonate führen. Dann geht es einige Treppen hinauf bis zu einem Fahrstuhl. Oben angekommen steht er vor uns. Gewaltig, und wir drei stehen auch hier oben.  Wir nehmen uns in die Arme und küssen uns. Die Sicht könnte besser sein, aber wir sind zufrieden. Christus ist übrigens barfuß und der Erlöser wendet den Armenvierteln im Norden den Rücken zu. Anna- Lena stellt fest, dass er die Augen geschlossen hält. Da sieht man es, er will die Hotels und Villen der Reichen die in seiner Blickrichtung sind  nicht sehen. Es ist kalt hier oben. Ein Mann trägt sogar Handschuhe, eine Frau einen Rollkragenpullover und viele tragen dicke Jacken.  Wir machen viele Fotos.       Mit Worten kann man das auch nicht richtig beschreiben, was wir hier sehen. Wir bleiben sehr lange, bis wir uns an die Wartenden da unten erinnern.

Einmal halten wir noch am Zuckerhut. Es gibt viele Berge, die so ähnlich aussehen, da ist es gar nicht so einfach den richtigen zu finden. Aber dieser hat eine Seilbahn. 

Wir fahren, oder besser wir schieben uns durch den dichten Verkehr langsam nach Hause. Hier wird rechts und links und in der Mitte überholt. Wir erkennen keine Verkehrsregeln. Hier wird kein Abstand gehalten und viele Autos haben Beulen. Und zwischen den Autos laufen auch noch Kinder  und verkaufen Süßigkeiten. Es ist schon spät als wir müde und hungrig nach Hause kommen.

 

Donnerstag, 18. September

Heute Abend fällt es mir irgendwie schwer zu schreiben. Hans- Jürgen ist immer noch nicht fit. Sein Magen-Darmproblem hat sich auf seinen Kreislauf geschlagen. Trotzdem fahren wir gemeinsam zu einer Land- oder besser Grundstücksbesetzung in die Stadt. Im Zuge der Landflucht sind die Arbeiter in die Stadt gezogen, weil sie – wie Millionen anderer hier - auf ein besseres Leben hofften. Sie bauten da, wo Platz war eine Hütte. Meistens sind es Stellen in der Besiedlung, an denen man besser nicht bauen sollte: An Berghängen oder unter Hochspannungsmasten. Nun wollen sie ein festes Haus bauen und benötigen ein Minigrundstück, so ungefähr 50 qm pro Haus. Es gibt ein Gesetz in Brasilien, das das unter bestimmten Umständen erlaubt. Der Rechtsanwalt aus dem Zentrum für Menschenrechte hilft den Bauwilligen, zu ihrem Recht zu kommen.  In der Siedlung, die wir besuchen, sieht es noch sehr schlimm aus.  Ein kleiner Bach – gleichzeitig als Abwasserkanal genutzt, trennt die Wohnanlage in zwei Teile. Der Regen hat  den Boden aufgeweicht und wir stehen in einem braun-roten Schlamm. Mit der Sprecherin der Initiative gehen wir durch die Grundstücke. Ein Teil der Häuser ist schon fertig, andere sind noch im Rohbau. Einige der Besetzer haben aufgegeben. Sie konnten ihre Schulden gegenüber der Bank nicht mehr abtragen, weil sie ihren Minijob verloren haben.

Eine alte Frau sortiert auf ihrem kleinen Grundstück Plastikmüll,  den sie gesammelt hat, um ihn zu verkaufen. Es ist das einzige Einkommen der Familie.  Es gibt hier nicht so viele Kinder. Die Zahl in den Familien schwankt zwischen zwei und sechs.  Die Väter sind meist nur Gelegenheitsarbeiter und ich verstehe nicht, wie sie ihre Häuser bauen und bezahlen wollen. Dazu gehört schon eine Menge Mut und Gottvertrauen. Es ist noch viel zu tun in der Favela: Der Bach muss gereinigt, ein Abwasserkanal gebaut, die Wege befestigt werden.  Die Organisation steht auch hier mit Rat und Tat zur Seite, um das Projekt zu einem guten Abschluss zu bringen. Eingebettet in das Landprojekt ist auch wieder ein Kinderprojekt im Viertel, denn nur wenn sich insgesamt die Lebensbedingungen ändern, kann aus diesen kleinen Pflänzchen ein stabiler Baum werden.  Hoffnung ist angesagt.

Aber es sollte an diesem Tag noch schlimmer kommen. Wir fahren in das Projekt „Casa do Beija Flor“ (Haus des Kolibris).  Hier haben 40 Mädchen eine neue Heimat gefunden, die wegen häuslicher und sexueller Gewalt aus den Familien genommen wurden. Hier gibt es Mittagessen. Wir auf der einen Seite des langen gefliesten Tisches, fünf Mädchen auf der anderen. (Die anderen sind noch in der Schule. Eigentlich habe ich Hunger, aber beim Anblick der Mädchen, die sehr zurückhaltend und zum Teil verstört wirken, vergeht mir der Appetit.  Häusliche Gewalt und Schläge sind noch das Geringste was mir durch den Kopf geht. Ich halte es nicht mehr aus und erkläre ihnen, dass ich unheimlich gerne mit ihnen reden würde, aber leider kein Portugiesisch spreche. Nun beginnt Anna-Lena zu reden. Sie fragt, wie sie heißen. Drei  werden munterer aber zwei von den Mädchen trauen sich kaum ihren Namen zu nennen.  Wir stellen uns auch vor. Anna fragt, was sie denn von uns wissen möchten? Sie wollen wissen, wer wir sind, was wir machen und ob Anna noch Geschwister hat und ob wir eine Familie sind. Man merkt ihnen an, dass sie schon so einiges mitgemacht haben.  Es gibt übrigens an diesem Tag: Schnitzel, Salat, Reis, Bohnen und Spagetti. Die Mädchen packen alles auf den Teller und vermischen die verschiedenen Gerichte.  Ich bleibe lieber hungrig. Eines der Mädchen hat ganz große motorische Schwierigkeiten und kann ihr Essen nicht alleine schneiden. Ein anderes stottert und blickt zu Boden. Eine dritte aber geht mit uns auf die Terrasse und will uns noch ihre Handarbeiten zeigen. Sie ist plötzlich ganz offen und möchte auch noch ein Foto von sich. Wir fotografieren das Haus und die Mädchen und versprechen ihnen, die Fotos aus Deutschland zu schicken.  Der Besuch hier hat mich traurig gemacht.  Aber ich finde es gut, dass den Kindern geholfen wird. Ihr äußeres Umfeld hat sich gebessert, die Zimmer sind hell, freundlich und aufgeräumt. Jeder hat seinen Platz und seinen eigenen Bereich. Für ihr körperliches Wohl ist gesorgt. Aber wie viel ist noch an ihren Seelen zu arbeiten?

Einige Straßen weiter besuchen wir einen weiteren Kindergarten, der zum Projekt Avicres gehört. Es wird ein Frühlingsfest vorbereitet. Die Erzieherinnen arbeiten auf der offenen Terrasse, sie kleben Schmetterlinge und Blumen für jedes Kind, Girlanden werden aufgehängt und alles wuselt durcheinander, aber sie freuen sich, uns ihre Einrichtung zeigen zu können. Wie in allen Einrichtungen gibt es auch hier eine Küche, in der die Kleinen verpflegt werden. Vor einer Tür finden einen ganzen Haufen Kinderschuhe. Leise öffnet die Leiterin die Tür: in Schlafraum auf dem Boden liegen  eng aneinander gekuschelt 30-40 Kinder, die ihren Mittagschlaf halten. Die Einrichtung macht einen fröhlichen Eindruck. Überall bunte Farben. Hier können sich die Kinder wohlfühlen.

Da ich die schönen gebastelten Blumen bewundert hatte,  bekomme ich zum Abschied von der Kindergartenleiterin noch eine geschenkt mit allen guten Wünschen für unsere weitere Reise.

Jetzt brauchen wir mal wieder eine Bank, um Geld abzuholen. Das ist gar nicht so einfach. Die Banco do Brasil erkennt unsere Kreditkarten nicht. Warum kann uns eigentlich niemand erklären, obwohl die resolute Hercilia mit uns bis in die Chefetage stürmt.  Über alle stehen Wachmänner mit Pistolen und  mustern die Kunden misstrauisch.  Die Türen  in der Bank sind gesichert und wir kommen ohne die Begleitung des Bankers nicht in den nächsten Raum oder die nächste Etage. Hier spürt man die Angst vor Gewalt und Überfällen. Wir sind froh wieder auf der Straße zu sein und versuchen in der nächsten Bank unser Glück. Es hat geklappt. Anna und Hans-Jürgen teilen sich das Geld auf. Jeder nimmt einen Betrag in Verwahrung, so ist es nicht so schlimm, wenn einer von uns bestohlen wird.

Auf dem Marktplatz in Nova Iguaçu haben die verschiedenen Projekte der Stadt ihre Stände aufgebaut und verkaufen ihre Waren: Schmuck, Handarbeiten, Decken und Kissen an die Passanten, um die Arbeit zu finanzieren.  Mit Blick auf das Gewicht unserer Flugkoffer  nehmen wir nur ein blumiges Nadelkissen mit.   

Wir sind froh endlich wieder zuhause zu sein. Hans-Jürgen hat sich tapfer gehalten, ist aber nun völlig hinüber. Und ich bin immer noch hungrig. Ich höre jetzt auf zu schreiben und wir verpflegen uns für den Abend aus unserem Wandschrank. Und dann gute Nacht - Boa noite!

 

Freitag,  19. September

Das wichtigste zuerst: Hans-Jürgen ist wieder ok.  Nach einem ausgiebigen Frühstück geht wieder zum Flughafen. In Rio scheint heute die Sonne. In der Ferne - die Sicht ist gut - sehen wir den Christo und den Zuckerhut. Noch einmal kriechen wir durch die verstopften Straßen. Lebensmüde Motorradfahrer überholen uns waghalsig.  José erzählt uns: „Es gibt sehr viele Unfälle mit Zweirädern. Die Stadt hat keine U-Bahn und der Schienenverkehr steckt noch in den Kinderschuhen“.

Er begleitet uns noch bis zum Check-in. Dann nehmen wir Abschied von Rio und unseren neuen Freunden und der zweite Teil unserer Reise beginnt.

Zwei Stunden und 10 Minuten Flug liegen vor uns. Aber zuerst macht Anna-Lena noch viele Fotos. Rio von oben. Selbst Copacabana, Zuckerhut und Christo sind zu erkennen. Heimweh? Nein, aber ich freue mich ausgiebig mit meinen Lieben in Deutschland  zu skypen.

Alles hat geklappt. Wir hatten eine gute Landung, wir haben unsere Koffer und Lucildo wartet auch schon am Ausgang. Es ist schon Mittag und wir fahren zum Essen. Bis zu seinem Haus in Lajeado sind es 108 Kilometer.  Wir fahren durch nasse und überflutete Felder. Vom Flugzeug aus hatten wir diese Überschwemmung schon gesehen  und uns gefragt, ob es hier wohl so heftig geregnet habe. Nun erkennen wir, dass es sich um große Reisplantagen handelt. Das hier Reis angebaut wird, haben wir gar nicht gewusst. In den großen Städten, die hinter uns liegen hatten wir das nicht bemerkt.

Weiter führt die Straße durch große Eukalyptusfelder. Die Bäume werden regelrecht geerntet. Alle sieben Jahre sind sie groß genug für die Papierindustrie, dann werden wieder neue Bäumchen gepflanzt.

Es ist Frühling. Die Bäume leuchten rot, gelb-orange und rosarot. Der rote Boden wird gepflügt und der Mais steht schon in deutlich sichtbaren Reihen. „Die Kühe“, so erzählt uns Lucildo, „bleiben das ganze Jahr auf der Weide und werden nur zum Melken und wenn es einmal wirklich richtig kalt ist in den Stall geführt“. Auch um das Futter braucht man sich nicht zu sorgen. Das ganze Jahr sind die Wiesen grün. Nach ca. einer Std. kommen wir wieder einmal an. Diesmal  werden wir in einem schicken grünen Haus wohnen.  Gerta und ihr zwei  jähriger Enkel Gabriel begrüßen uns. Über der Doppelgarage gibt es zwei Zimmer und ein Bad mit warmem Wasser.  Hier  werden wir nun die nächsten 14 Tage wohnen. Endlich lohnt es sich mal, auszupacken.

Nach dem Kaffee müssen Anna-Lena und Hans ausruhen. Ich suche die Wäsche, die zuerst gewaschen werden muss zusammen.  Die Waschmaschine wäscht nur mit kaltem Wasser, und braucht auch nur 30 Min für einen Waschgang.  Gerta erklärt mir, dass sie ihre ganze Wäsche so wäscht. Ich bin mehr als skeptisch. Bei der 30 Grad Wäsche klappt es wirklich und irgendwie riecht die Wäsche auch noch gut. Was sind wir doch in Deutschland für Energieverschwender. Ob das aber auch mit 6O  Grad Wäsche klappt, werde ich morgen erfahren.

Nach einem leckeren Abendessen, kriechen wir müde unter unsere warmen Decken in ein richtiges Bett.

 

 

Sonntag, 20. September

Anna Lena ist krank. Sie niest und niest und will gar nicht aufstehen. Draußen regnet es und es ist kalt. Ich wasche Wäsche. Schmutzwäsche wird hier eine Nacht eingeweicht und dann klappt es auch mit dem Sauberwerden. Erst gegen Abend fahren Lucildo, Gerta Hans und ich in einen riesigen Supermarkt. Im Obergeschoss ist eine Orchideenausstellung. Einfach traumhaft. Solche Farben und Formen habe ich noch nicht gesehen. Die Einfuhr von Pflanzen nach Europa ist leider verboten also kaufe ich nichts und bin mit einigen Fotos zufrieden.  Wir haben Hunger und wollen kleine Pastetchen essen. Da entdecken Lucildo und Hans ein Sonderangebot acht Pasteten und ein Glas Bier 7,5O Reis. Beide möchten zwei Gläser Bier und so wir bestellen das ganze vier Mal. Die Pasteten sind aber viel größer als wir uns vorgestellt haben und bekommen ein riesiges Tablett  serviert. Das können wir nicht schaffen und nehmen einen Teil mit nach Hause.

Viel mehr haben wir heute nicht erlebt. Macht aber nichts. Wir brauchten dringend einmal so einen Gammeltag.

Die Toilettensitze sind hier so aus weichem Gummi. Wenn man sich draufsetzt, macht es „Puff“. Sie sind nicht so Kalt  und hart wie zu Hause. Das Toilettenpapier darf man auch hier nicht in die Toilette schmeißen. Aber das kennen wir ja schon.

 

Sonntag, 21. September

7.00 Uhr aufstehen. 8.00 geht es los.

Wir fahren in die Berge, zu den Italienern, auf ein riesiges Weingut. Hier werden jährlich 9 Millionen Flaschen abgefüllt. Es sind sehr hochwertige Rot- und Weißweine und Sekt. Bei der Führung bestaunen wir zunächst riesige Holzfässer. 1994 hatte man damit hier angefangen. Aber nur vier Jahre, dann hat man auf Edelstahl umgestellt. Seit 2002 exportiert man in 15 Länder. Auch nach Deutschland, Kanada, Australien und Italien. Wir gehen in den Keller, dort liegen 3000 Holzfässer. Inhalt pro Fass 300 l. Ein Fass kostet ca. 1000 Euro. Tief unten im Keller lagern Unmengen von  Flaschen. Jetzt geht es zur Weinprobe. Vier Sorten  Wein und einen Sekt dürfen wir probieren. Der Sekt schmeckt uns am besten und wir werden lustig. Die Landschaft ist ähnlich wir bei uns das Sauerland. Es geht hoch und runter. Wir haben eine sehr gute Sicht. Hier in „Italien“ gibt es viele Weingüter. Auch die Häuser erinnern uns an Tirol. Sie sind in allen Bonbonfarben gestrichen. Auf fast allen Berghängen wächst Wein. Zum Mittagessen kehren wir in ein Spießlokal ein. Es gibt Büfett, ohne Fleisch. Hier laufen Kellner mit verschiedenen Fleischspießen von Tisch  zu Tisch. Man piekt mit der Gabel rein und bekommt das Stück abgeschnitten. Auch ganze Ananas kann man aufspießen, mit Zimt und Zucker bestreuen und grillen. Das war für Anna-Lena ein himmlischer Genuss.

Dick und rund fahren wir weiter. In dieser Gegend werden viele Produkte direkt ab Hof vermarktet. Wir besuchen eine Schafskäserei und eine Weberei. Gerta redet die ganze Zeit von Shopping. In einem riesigen Gebäude kann man auf zwei Etagen auch heute am Sonntag einkaufen. Um einen Treppenaufgang herum gibt es unzählige kleine Geschäfte. „Hier wird“, so Gerta, „noch die Wintermode verkauft.“ Da Anna-Lena friert, kaufen wir ihr eine Jacke und Hans bekommt eine Hose.  Nun fahren wir vorbei an „Neu Rom“ zurück nach „Deutschland“. Berlin liegt hier übrigens ganz in der Nähe von Italien.

Wir kommen in ein typisch westfälisches Bauernland. So ähnlich muss es bei uns vor ungefähr 50 Jahren ausgesehen haben. Holländische Kühe, also schwarz-weiße, weiden hier. Das Land ist so hügelig, dass es überwiegend als Weidefläche gebraucht wird. Wir sehen riesige Hühner- und Eierfabriken. Auch Schweine werden hier gemästet. Das riechen wir auch. Lucildo fährt von der Hauptstraße ab und wir landen auf Feldwegen. Hier lebten seine Vorfahren und heute wohnen hier seine Verwandten. Hier ein Ahlert und dort ein Ahlert. An einem Friedhof halten wir an und finden viele Gräber der ersten Auswanderer aus  Deutschland. Die Beschriftung ist Deutsch. Wir finden viele uns bekannte Namen und Ortsnamen geb in Tecklenburg, Lienen, Lengerich, Lotte.  Die vielen Kindergräber, die Kinder wurden oft nicht einmal 10 Jahre, lassen auf eine schwere Zeit schließen.

Wir sind müde, als wir zu Hause ankommen.

Montag, 22. September

Nach dem Frühstück machen wir einen großen Spaziergang in unserer Siedlung. Wunderschöne Häuser, in allen Farben , mit Pool im Garten, hohem Zaun und teilweise mit Strom.                                          Am Nachmittag fahren wir zunächst in einen Großmarkt für Backzutaten. Übermorgen ist der Brotbackkurs von Hans Jürgen. Die Zutaten sind für uns ungeahnte Probleme. Es gibt hier kein Roggenmehl. Was ist Sesam?  Wird das Brot so schmecken wie bei uns?

In der Stadt gibt es eine Fußgängerzone. Ich entdecke ein Handarbeitsgeschäft, mit allem, was ich so brauche. Vieles ist viel preiswerter als in Deutschland. 

Zurück fahren wir durch die Favelas. Ja es gibt sie auch hier, wie in fast jeder Stadt Brasiliens. Nun besuchen wir ein älteres Ehepaar. Ihr Haus liegt in einem etwas verwilderten Paradiesgarten. Der Mann soll bei der Übersetzung von Hans-Jürgens Vortrag helfen.  Die beiden haben 7 Kinder und inzwischen viele Enkel und Urenkel. Wir Frauen gehen in den Garten. Orchideen wachsen an den Bäumen und auf dem Boden. Kleine und Große in vielen Farben. An einem Baum sitzen an den Ästen lauter kleine dunkel-blaue Beeren. Mit einem langen Bambusstab pflücken wir sie. Keine Ahnung was das ist! Aber sehr lecker. An einem anderen Baum hängen gelbe Früchte. Vorsichtig beißen wir in die erste hinein und können dann gar nicht mehr aufhören zu essen. Orangen, Apfelsinen und Bergamotten kann man in diesem Garten 8 Monate im Jahr pflücken. So viele unterschiedliche Sorten gibt es hier. Aber auch Salat und anderes Gemüse finden wir zwischen den vielen Blumen.  Also so ein Garten wie ich ihn mag.               

Wolfgang erzählt von seinem Großvater: Er besuchte 1916 eine Landwirtschaftsschule in Deutschland, als er mit 18 Jahren in den ersten Weltkrieg ziehen musste. Zwei Jahre war er Soldat, bis er in französische Gefangenschaft geriet. Nach weiteren 2 Jahren kam er nach Hause und hatte keine Lust mehr wieder zur Schule zu gehen. Er ließ sich sein Erbteil auszahlen und wollte mit dem Geld in Argentinien eine Farm kaufen. Kurz bevor er auswanderte, lernte er noch eine junge Frau kennen und lieben. Als er endlich in Argentinien ankam, hatte die Immobilienfirma Pleite gemacht. So hatte er sein ganzes Erbe verloren. Als Schafhirte verdiente er sich seinen Lebensunterhalt. Seine Schwester war inzwischen auch ausgewandert und lebte in Porto Alegre. Sie schrieb ihm, er möchte doch zu ihr kommen. In Brasilien würde es bestimmt bessere Arbeit für ihn geben. Als Reispflanzer schlug er sich schwarz über die Grenze.  Nun versuchte er sein Glück als Halbedelsteinsucher auf einem von ihm in Lajeado erworbenen Grundstück. Auch hatte er viele Geschäftspartner, auch in Deutschland, und konnte gut leben. Er fuhr nach Hamburg und heiratete seine Freundin, die er vor zehn Jahren verlassen hatte. Nun reiste er vorschriftsmäßig mit Papieren in Brasilien ein. „Wie kann man 10 Jahre lang auf einen Mann warten?“ frage ich mich! Nun seine Frau  hatte noch 5 Schwestern. Keine hatte einen Mann. Der 1. Weltkrieg war daran schuld. Da kann man verstehen, dass die Tochter eines Reeders den großen Schritt wagte und nach Übersee auswanderte. Zu dieser Zeit gab es in Hamburg schon eine U-Bahn. Hier in Brasilien musste die junge Frau ihre Wäsche im Fluss waschen. Dann kam der 2. Weltkrieg. Die brasilianische Regierung stellte sich auf die Seite der Alleierten  und fror das Vermögen und die Ländereien der Deutsch-Brasilianer ein. Damit war ihnen die Grundlage des gesellschaftlichen Lebens entzogen  und die Meinung der Bevölkerung, also der Portugiesen, schlug um. Die Deutschen hungerten und einige wurden eingesperrt. Inzwischen hatte unser Lebenskünstler 3 Kinder. Er besann sich auf seine landwirtschaftlichen Kenntnisse und brachte so irgendwie seine Familie durch. Das war sicher nicht einfach. Es gab Jahre mit Überschwemmungen, Trockenheit und oft haben die Heuschrecken alles aufgefressen.

Was wir Deutschen gar nicht wussten, das die Brasilianer auch Carepakete nach Deutschland geschickt haben. In einem Fall schickten sie unter anderem Matetee. Nach Wochen kam ein Brief aus Deutschland „die Suppe hat gar nicht geschmeckt“!

 

Dienstag, 23. September

Heute Morgen werden wir von Nilson Thomas abgeholt. „Santa Clara“ steht auf dem Programm. Was immer das ist und wie weit das ist,  wir haben keine Ahnung und kennen die Leute auch gar

nicht.                                                                                                                                                                          Es ist nicht weit, und es ist eine Stadt. Das nette Ehepaar war auch schon in Laggenbeck und spricht hervorragend Deutsch. Auch sie haben einen Naschgarten mit Erdbeeren und Obstbäumen. Nach Maracujasaft und einigen Keksen machen wir uns auf. Die Stadt hat 4OOO Einwohner und es gibt hier zwei Schuhfabriken. Die kleinere gehört dem Sohn von Nilson. Die große seinem Schwiegersohn. Das erste Mal in unserem Leben besichtigen wir nun eine Schuhfabrik, die kleinere. Es gibt hier 250 Mitarbeiter und fast genau so viele Maschinen. Heute werden hier Nike Schuhe hergestellt. So ein Schuh hat 60 – 70 Teile. Zuerst wird das Leder ausgestanzt. Dann wird geklebt und genäht.  Jeder Mitarbeiter macht eine Naht und dann geht es auf einem Band zum nächsten. Das ist ganz schön harte Arbeit.  In dem kleinen Städtchen haben sich inzwischen viele der Arbeiter ein kleines Häuschen gebaut. Die Zahl der Kinder ist gewachsen und die Schule, die schon kaum noch Bestand zu haben schien, ist wieder voll belegt.  Hier entwickelt sich in Brasilien eine  Mittelschicht.

 Aber es gibt auch arme Leute. Lorry, Nilsons Frau, sammelt Kleidung und bringt sie zu den Menschen, die keine feste Anstellung haben und in den Favelas wohnen.                                                                           Zum Mittagessen fahren wir auf einen Berg. Von hier haben wir eine tolle Sicht über den Fluss und die beiden Städte Lajeado und Estrella, die rechts und links am Flussufer liegen. Das Essen ist Spitze. Nachtisch wollen wir aber lieber zu Hause essen. Es gibt gekochte Pfirsiche, frische Erdbeeren und Sahnecreme.                                     

Dann verschwinden Lorry und ich im Keller. Dort gibt es wunderschöne Handarbeiten zu bestaunen. Viele neue Ideen für Deutschland. Lorry gibt Kurse in Frauengruppen. Wir beide sind uns sehr ähnlich und verstehen uns so richtig gut.  Die Männer und Anna-Lena fahren noch ins Museum. Das war wieder einmal ein Tag mit ganz neuen Erfahrungen und Bekanntschaften.            

 

Mittwoch, 24. September

Heute war Backtag. Was hatte Lucildo sich nur dabei gedacht? In der Lehrküche neben dem Großmarkt für Backzutaten versammeln sich lauter Bäckermeister und Gesellen. Vier Sorten Brot sollten es werden. Zum Glück haben wir ein großes Rührgerät und einen großen Tisch zum Kneten. Erst sind sie etwas skeptisch. Vor allem als sie aufgefordert werden selbst etwas zu tun. Aber dann wird es ganz munter. Die Ergebnisse lassen sich sehen  und schmecken.  Als Dank gibt es lang anhaltenden Applaus. Ein Bäckermeister erklärt, er könne sich gut vorstellen, eins der Brote ins Programm zu nehmen.  Mal sehen, vielleicht haben wir ja die ganze Brotwelt Brasiliens revolutioniert.



P.S. Hier in Brasilien gibt es Politikerstraßen. Sie werden kurz vor der Wahl geteert und halten bis zur Wahl. So dünn ist die Teerschicht.

 

Donnerstag, 25. September

Wie versprochen habe ich heute für unsere Großfamilie gekocht. Also für neun Personen Möhrengemüse. Den ganzen Morgen schlich Gerta in der Küche herum und schaute skeptisch in den Topf. Zum Nachtisch gab es Obstsalat. Bis auf Alan, dem jüngeren Sohn, hat es allen geschmeckt. Der Topf war leer. Ich fand das Kochen als sehr anstrengend. Kein Wunder, denn  in den letzten Wochen habe ich das überhaupt nicht tun müssen.




Am späten Nachmittag sind wir dann zur Uni „Univates“ gefahren.  Es gibt dort 10.000 Studenten und  gut 300 Professoren. Sie ist modern und macht einen guten Eindruck. Die Natur hat man irgendwie mit einbezogen, alte Bäume und Wasserläufe sind in den Komplex integriert.  Den Schauraum des Biologischen Instituts haben wir uns genauer angesehen. In großen Vitrinen  wird die Erdformation der Gegend um Lajeado dargestellt, Ausgrabungen aus der Erdgeschichte, Tiere lebend und ausgestopft. Schlangen und Spinnen der Region vervollständigen das Bild. Die zuständige Laborleiterin ließ sich viel Zeit, uns alles zu erklären. Nach einem Abstecher in Lucildos Büro haben wir am anderen Ende des Komplexes einen Termin im Lokalradio. Hans-Jürgen gibt ganz cool ein Interview. Lucildo übersetzt: Was wir in Brasilien machen, will er der Moderator wissen und wie wir Brasilien erleben. Wir erzählen über unseren Besuch im Norden, über die Arbeit dort und Hans-Jürgen erzählt kurz etwas zum Vortrag, den er halten wird. Gut 15 Minuten dauert das Ganze. Dann noch ein Rundgang durch das hauseigene Fernsehstudio und wir sind im Auditorium und bereiten den Vortag vor. Natürlich kommen die Studenten und Besucher nicht pünktlich. Wir sind ja so gespannt. Die Presse ist schließlich anwesend, macht ein paar Fotos und der Direktor der „Univates“ begrüßt uns. Er hat von dem Brotbackkurs gehört und will von Hans-Jürgen noch einige Tipps für seinen Haushalt, denn er ist italienscher Abstammung und kocht leidenschaftlich gern.  Der Saal füllt sich nach und nach und bald sind ca. 350 Personen anwesend. Mit 35 Minuten Verspätung beginnt die Veranstaltung (deutsche Verspätung= brasilianische Pünktlichkeit) Hans-Jürgen wird vorgestellt, unsere Reiseroute erläutert und dann geht es los. Alles klappt, Anna-Lena hat immer die richtige Folie zur Hand. Nur der Übersetzer ist sehr lahm und versucht Eigenes in die Übersetzung zu mogeln. Dann aber übernimmt Lucildo die Übersetzung: Das klappt besser. Zum Ende muss Hans-Jürgen etwas kürzen, denn es folgt noch eine kurze Fragestunde, die er mit Bravour meistert.  Zum Abschluss bedanken sich der Direktor und die Professorin der geschichtlichen Fakultät mit einem Gastgeschenk.

Als wir um 22.30 die Uni verlassen, ist es dort auf den Parkplätzen noch richtig voll. Die Studenten  kommen in der Regel erst am Abend zu ihrem Unterricht, denn tagsüber sind sie in verschiedenen Jobs, um das Geld für das Studium zu verdienen.  Daher arbeitet Lucildo auch jeden Abend. Die Uni ist eine Stiftung von privaten Investoren und der Stadt Lajeado.  Sie soll in den nächsten Jahren noch deutlich ausgebaut werden, denn einige Fachbereiche platzen aus allen Nähten.

Müde und hungrig kommen wir an diesem Abend in unser Quartier, denn wir hatten keine Zeit an Essen überhaupt zu denken.  Schnell ins Bett, denn am nächsten Morgen um 5.30 Uhr ist die Nacht zu Ende: Wir gehen wieder auf Tour.

 

Freitag, 26. September

Um 6.00 Uhr sitzen wir  in unserem Kleinbus. Elf Leute und der Fahrer. Nun geht eine endlose Fahrerei los.  13,5 Stunden und 830 Kilometer werden wir unterwegs sein. Das Ziel: Foz do Iguaçu, an der argentinisch-paraguayischen Grenze und die größten Wasserfälle der Erde.  Lucildo hat die Fahrt geplant und auch unsere Mitreisenden ausgesucht.  Neben ihm fahren sein Sohn und ein Freund- der fährt jede Woche um in Paraguay einzukaufen-  zwei Neffen, Hektor Nilson, Ana, Anna-Lena, Hans-Jürgen und ich mit. Die Fahrt geht durch das Bergland und die Straße schlängelt sich in Serpentinen durch das Gebirge, dann die Hochebene, weite Flächen, Kornfelder und Viehherden. Wir wechseln die Staaten, von Rio Grande do Sul geht es über den Uruguay durch den Staat Santa Catarina nach Paraná.  Rote Erde, Tabakanbau so weit das Auge reicht. Lucildo hat früher in einer Tabak-Firma als Berater für die Bauern gearbeitet und kennt sich aus.

Dazwischen versuchen wir zu schlafen und zu dösen. Aber es ist eng. Die Dunkelheit kommt und im Finstern erreichen wir unser Hotel „Tres Fronteiras“ in Foz do Iguaçu.  Mir tut alles weh, ich habe Kopfschmerzen und bin völlig k.o.  Das Hotel ist  in Ordnung, im Zimmer gibt es eine Klimaanlage an die ich mich erst noch gewöhnen muss: Laut und kalt.  Ich gehe ins Bett. Die anderen treffen sich noch, um Pizza essen zu gehen.  Als sie ins Hotel kommen, schwärmen Anna-Lena und Hans-Jürgen von der tollen Pizzeria: Pizza bis zum Abwinken, alle möglichen Sorten, selbst mit Obst und Schokolade.

Samstag, 27. September

6.30 Uhr Wecken und Aufstehen. Ein opulentes Frühstück erwartet uns.  Mit einem Kleinbus geht es vom Hotel zum zweitgrößten Wasserkraftwerk der Welt: Itaipu Binacional.  Paraguay und Brasilien haben es gemeinsam gebaut. Es liegt auf der Grenze der beiden Staaten.  1973/ 74 begannen die Planungen, 2006 wurde es in der letzten Ausbauphase fertig gestellt.  Der Fluss Paraná musste umgelegt und aufgestaut werden, Fischtreppen wurden für die laichenden Fische angelegt.  Das hatte schon Jahre in Anspruch genommen.

Wir beginnen die Besichtigung mit einem Film über die Umwelt und Umweltprojekte, die der Konzern ins Leben gerufen hat, um die Schäden der Großanlage zu mildern.  Urwald wurde erhalten, ein ökologisches Umweltinstitut gegründet, Tiere  ausgewildert, Rekultivierungsmaßnahmen eingeleitet.

Wir steigen in einen Bus und fahren ganz nah an das Kraftwerk heran.  Da der Fremdenführer englisch und portugiesisch spricht, können wir  das meiste verstehen:  Das Kraftwerk deckt zur Zeit 20% des Energiebedarfs Brasiliens und 90% Paraguays. Diese 90% entsprechen 7% der Leistung, die Paraguay zusteht. Der Rest wird an Brasilien abgetreten und damit erhält Brasilien 62% seines Stromes aus diesem Kraftwerk.  Insgesamt  stammen fast 98% des Stroms aus Wasserkraft. 

Unmengen von Betonteilen und riesige Turbinen und Fallrohre an denen der Bus vorbeifährt. Zwei Stopps zum Fotografieren. 300.000 Menschen haben insgesamt an diesem Bau mitgearbeitet, um den inzwischen ein Park angelegt wurde.  Jeder Arbeiter, der hier 15 Jahre beschäftigt war, darf einen Baum pflanzen. Weit über 2000 sind es schon. Lucildo meint, um unabhängig zu sein bräuchte  Brasilien fünf solcher Kraftwerke. Wenn wir in Deutschland eins hätten, wären wir unsere ganzen Energieprobleme los.   Um das Innere des Kraftwerks zu besichtigen, bleibt uns keine Zeit, denn wir wollen unbedingt noch nach Paraguay:

Das ist für mich ein völlig unbekanntes Land. Ich denke an Urwald und Indianerstämme. Vor vielen Jahren hatte es einen Krieg zwischen Paraguay und Brasilien gegeben. Brasilien gewann und viele Männer auf der anderen Seite waren gefallen. So heirateten die  jungen Frauen auf der paraguayischen Seite  auch Indianer. Das bestimmt auch heute noch das indianische Aussehen und die Erscheinung der Menschen,  die hier leben.  Auch auf der brasilianischen Seite des Paraguay.

Mit dem Bus schleichen wir langsam über die Grenzbrücke zwischen den beiden Staaten. Die Grenze ist offen, keine Kontrollen bei der Einreise, denn Paraguay ist Freihandelszone (wie früher auf der Nordsee auf den Butterfahrten). Es liegen keine Steuern auf den Waren, die man kauft.   Kontrolliert wird erst auf der Rückfahrt durch Brasiliens Zoll. Wir haben ja schon viel erlebt auf unsere Reise aber so ein Gedränge und Gewusel. Mopeds, Karren, Handwagen, Fußgänger, Busse, Reisebusse und Autos zwängen sich über das Nadelöhr Brücke.

Die Straßen, durch die die Fahrt geht,  sind voller Stände, überall Hinweisschilder und Plakate. Händler laufen kreuz und quer über die Fahrbahn und versuchen, ihre Waren an den Mann zu bringen: DVDs,  Videos, CDs, Decken, Badeschaum und, und, und.  Unser Begleiter scheint das zu kennen, er stammt aus  Foz do Iguaçu, denn unser  Fahrer hat keine Erlaubnis hier zu fahren. Wir sind auch nur noch neun Leute, denn drei unserer Mitfahrer sind schon seit dem frühen Morgen in diesem Trubel unterwegs. Sie werden für 10.000$  Elektronikteile einkaufen und über die Grenze schmuggeln, denn nur für 2000$ darf steuerfrei nach Brasilien eingeführt werden. Aber da haben sie schon alle ihre Tricks. Angelos Freund macht das hauptberuflich. Und er hat von den Einnahmen schon ein dreistöckiges Haus gebaut. Scheint sich also zu lohnen…

Unser einheimischer Fahrer  bringt uns in eine Tiefgarage eines „Shoppings“, er warnt uns: „Nicht auf der Straße kaufen. Geld festhalten“ - Das Kaufhaus mit drei Etagen besteht  wieder aus vielen kleinen Geschäften.  Wir vergleichen die  Preise. Es ist nicht viel billiger als bei uns in Deutschland. Aber für die Brasilianer macht die Steuerbefreiung sehr viel aus. Sie haben die Chance, preiswert einzukaufen. Die Menschen um uns herum rennen, schauen, handeln, schleppen riesige Einkaufstaschen. Wir kaufen einen Schal und eine Kassette für die Videokamera.  Die Händler in den Geschäften lassen mit sich handeln und so bekommt Lucildo schließlich ein Navigationsgerät um fast umgerechnet 100$  billiger. Das kann sich sehen lassen.  Am vereinbarten Treffpunkt fehlt Ana, eine 29jährige  junge Frau, die Freundin von Alan. Wir suchen überall auf allen Stockwerken, als sie plötzlich weinend auftaucht. Sie war auf die Straße gegangen und hatte sich in dem Gewühl verlaufen. Zurück in den Bulli, ein Straßenjunge verkauft DVDs.  Der Fahrer kauft einige.  Und wieder über die Brücke. Erst jetzt bemerken wir, dass sie auf beiden Seiten des Flusses mit hohem, dichten Drahtgitter abgesperrt ist.

Lucildo erklärt, früher hat man die Ware hier ins Wasser geschmissen und unten im Fluss hat sie jemand aufgefangen.  So umging man die Grenzkontrollen. Heute kontrolliert man nur hin und wieder ein Auto. Uns nicht und so sind wir pünktlich an unserem Hotel. Zu Fuß laufen wir zu einem Kaufhaus, ganz in der Nähe. Hier wird unser Mittagessen wieder gewogen. Wir essen so 400-650 Gramm. Das kg kostet 15 Reais. Kurz darauf sitzen wir satt und träge in unserem alten Bulli. 2o Min später fahren wir auf einen Parkplatz. Von hier fahren die Busse zu den Wasserfällen. Die Eintrittspreise sind wieder einmal gestaffelt.  Nicht-Brasilianer zahlen viel mehr. Lucildo bezahlt wie immer für alle. Wir sind alle Brasilianer. Hans fällt beinahe auf. Am Eingang fragt ihn der Angestellte: „Brasileiro?“- „Si, Si,“- Dann sagt er noch etwas, Hans-Jürgen versteht nicht, bis ihm klar wird: der Mann wünscht ihm einen schönen Aufenthalt. 

Wieder sitzen wir oben in einem Doppeldeckerbus und fahren neun Kilometer  durch ein Naturschutzgebiet. Wir beobachten ein japanisches Ehepaar so um die  fünfzig. Sie sitzen auf der anderen Seite des Ganges. Kaum fährt der Bus an, beginnen sie ein zu schlafen. Auch am Endpunkt bleiben sie sitzen, die Augen fest geschlossen.  Hans-Jürgen ist so freundlich und weckt die Beiden. Hier im Urwald leben noch viele wilde Tiere. Im Bus gibt es noch einige Verhaltenshinweise und man warnt uns besonders vor den Quattis, niedlichen Tierchen, etwas größer wie Katzen, die mit ihren langen Nasen gern die Rucksäcke von Touristen durchforsten. Zu Fuß geht es weiter. Die Wege sind gepflastert und haben ein Geländer.  Und dann…

Vor uns liegt ein von der UNESCO anerkanntes Weltwunder.  Die wohl größten Wasserfälle der Erde. Sie sollen noch ein bisschen größer sein als die Niagarafälle. Blitzartig sind die Strapazen der weiten Reise vergessen. Zum Glück machen wir viele Fotos. Mit Worten lässt sich das, was wir sehen auch nicht beschreiben.  Und es nimmt kein Ende. Jede Wegbiegung eine neue Sicht.  Einmal geht es über einen Steg ganz weit über das Wasser und wir werden ganz schön nass. Dann erstrahlt ein Regenbogen auf den Wassermassen. Wir sind mittendrinn. An dieser Ecke donnert an drei Seiten das Wasser hinab. Es ist der „Garganta del Diablo“ - der „Teufelsrachen“.  Ein Aufzug bringt uns über die Wasserfälle. Wir staunen und staunen und können nicht mehr laufen.  Nun will uns Lucildo noch eine Vogelausstellung zeigen. Hans-Jürgen kann nicht mehr und setzt sich auf eine Bank. Die bunten Papageien machen wahnsinnigen Krach. Im Shop finden wir endlich das richtige Top für Anna-Lena. Die Sonne geht schon unter, als wir an der Dreiländergrenze stehen. Brasilien. Paraguay und Argentinien.

Im Hotel bleibt uns nur kurze Zeit, um uns frisch zu machen. Da wartet schon das Taxi von heute morgen. Wir sind ganz schön verrückt, aber es gibt eben Dinge, die man nur einmal im Leben macht. Dazu gehört, zum Abendessen nach Argentinien zu fahren.  Was für ein Aufwand mit dem Ein- und Ausreisen aber Anna-Lena hat ihre Stempel im Pass. Wir steuern ein landestypisches Restaurant an.

Draußen an einem riesigen Grill werden riesige Mengen Fleisch zubereitet. Drinnen spielt eine Drei- Mann-Kapelle . Wir bekommen einen großen Tisch und Lucildo bestellt für alle, von allem etwas. Bier, Cola und für Anna-Lena und mich eine Flasche süßen Weins. Wir beide werden schnell lustig und immer munterer. Dann spielt die Kapelle und ein schnuckeliger Argentinier singt:  „Wein nicht um mich Argentinien…“. Wir beide schaffen die ganze Flasche und argentinischer Wein hat es in sich. Es ist schon sehr spät als wir im Bett liegen. Was für ein Tag!

 

Sonntag, 28. September

Um 7 Uhr haben wir bezahlt. 100 Euro für 3 Personen zwei Mal Übernachtung mit Frühstück. Nun geht es wieder stundenlang  durch Brasilien.  Manchmal müssen wir Maut für die Straße bezahlen. Dann ist sie ein kleines Stück in Ordnung. Ja, für eine ordentliche Straße bezahlen wir gern. Lange Strecken sind die Straßen hier aber nur eine einzige Katastrophe.  In Deutschland hätte man sie längst gesperrt. Kühe, Hühner und Menschen entlang der Straße sind hier übrigens ganz normal. Es gibt auch viele Verkaufsstände mit Nüssen, Honig, Kalebassen und vielem mehr. Lucildo kauft gelbe zackige Früchte. Sie sind glitschig und schmecken uns nicht.  Während der Fahrt ist der Chimarong für die Brasilianer nicht wegzudenken. Der ganze Bus trinkt den aufgegossenen Matetee, immer wieder neu wird aufgegossen und herumgereicht. Ich verstehe nicht, wie man das Zeug trinken kann. Zu Mittag kehren wir in das gleiche Hotel ein, wie auf dem Hinweg. Diesmal liegt da ein Schwein. Uns vergeht der Appetit und wir bleiben draußen. 1600 km sind wir hin und zurück gefahren. Einmal durch Europa. Ich frage Hektor, was ihm denn an Deutschland am besten gefallen hätte. Er antwortet spontan. „Die Ordnung und die Sicherheit. Unser Land ist gefährlich“, sagt er. „Die Menschen werden in ihren Häusern überfallen und ausgeraubt. Darum die hohen Mauer, die vielen Zäune, teilweise mit Strom , und die vielen Wachhunde.“

Es gibt in diesem Land viele Blumen, Bäume und Tiere, die ich noch nie gesehen habe. Fast jeden Tag entdecke ich irgendetwas Neues. Heute Abend ist es eine 10 cm große Heuschrecke, die am Fenster unseres Schlafzimmers hängt.

Müde und irgendwie krumm kommen wir zu Hause an und schreiben noch schnell eine E-Mail nach Hause. Von den Wasserfällen, Paraguay und Argentinien müssen wir unbedingt allen erzählen.

Dann fallen wir nur noch ins Bett.


 

Montag, 29. September

Eigentlich wollten wir lange schlafen, aber um 4.00 Uhr fingen die Vögel an zu singen, um 6.00 bellten die Hunde und um 7.00 Uhr begannen die Arbeiter auf dem Grundstück gegenüber mit ihrer Arbeit. Wir sind trotzdem bis 9.00 Uhr im Bett geblieben. Am Nachmittag unternehmen wir einen Spaziergang in ein Freilichtmuseum. Dort sind die ersten Häuser, die die Auswanderer in der Umgebung  gebaut haben,  zusammengetragen worden. Lucildo hatte einen großen Anteil an dieser Arbeit.  Neben einer Schule finden wir Schmiede und Gaststätte, ein großer Saal in einer Scheune wird regelmäßig für Trachtenfeste und Tanzveranstaltungen genutzt.  Viele Schulklassen kommen, um etwas über ihre Vorfahren zu erfahren. Auch als wir da sind, erzählt eine Lehrerin ihren Schülern  über die Zeit der Einwanderung und die Kinder gehen auf Erkundungstour.

Abends fahren Anna-Lena,  Gerta und ich mit einer Bekannten in den Ort „Westfalia“. Wir sind froh, dass wir nach 30 Minuten dort heil und sicher ankommen. Unsere Fahrerin nimmt es mit den Verkehrsregeln nicht so genau. Da konnte sie auch keine rote Ampel stoppen.

Wir fahren durch Westfalia und halten an einem Haus mit Vorgarten. Was uns auffällt, es gibt hier keine Zäune und Tore, die verschlossen gehalten werden. Schon auf der Veranda erwartet man uns.  Von wildfremden Frauen werden wir umarmt. Alle sprechen Deutsch.  Es ist schon komisch, wenn alle sich sofort duzen. Es sind 18 Frauen gekommen, zwei Schwarze. Eine der Frauen heißt Rosi. Sie spricht sogar „Platt“. Zu unserer Freude sind sie hier ganz integriert.  Ich stelle den Frauen vor, was wir machen wollen: Blaudruck.  Dann erkläre ich alles in einzelnen Schritten. Sie sind sehr gespannt und konzentriert. Aus Platzgründen nehmen wir bald drei Zimmer in Beschlag. Als die ersten Druckversuche auf Papier gelingen,  wird auf Stoff weitergearbeitet.  Das Kordeldrehen kennen die Frauen hier auch noch nicht.  Im Laufe des Abends  können alle ihre Säckchen mit Motiven der Models bedrucken. Eine Frau setzt sich an die Nähmaschine um weitere Säckchen zu nähen. Alle sind sehr eifrig  und wollen auch am nächsten Abend zum zweiten Bastelworkshop wiederkommen.

 

Dienstag, 30. September

Wir beschließen Lajeado unsicher zumachen.  Schließlich benötigen wir noch Geschenke für unsere Lieben daheim. Lucildo bringt uns in die Stadt. Und dann laufen wir durch die Geschäfte. Es ist gut, dass hier deutsch gesprochen wird. In jedem Laden kann man um eine deutschsprachige Bedienung bitten. Manchmal sprechen sie leider auch nur Platt.  Viele der Alten hier sprechen weder Deutsch noch Portugiesisch.  Es ist für mich eine eigentümliche Erfahrung. Da sind wir jenseits des Äquators und es  wird deutsch gesprochen.  Mittags essen wir ein einem „German-Restaurant“. Da gibt es sogar Sauerkraut und Kartoffelpüree.  Wir kaufen einen Spieß – für Churrasco- der allerdings nicht in den Koffer passt und andere Kleinigkeiten.

Während wir auf den Wagen warten besuchen wir die katholische Kirche in Lajeado. Sie erinnert sehr an deutsche Kirchen und besonders beeindruckt ist Hans-Jürgen von den schönen alten Bleiglasfenstern, die biblische Szenen darstellen.

Um 15.30 Uhr sind wir wieder in unserem Haus und holen die verspätete Mittagspause nach. Abends dann wieder in Westfalia. Hans-Jürgen fährt auch mit, denn er muss unbedingt Orlando kennenlernen, den Lebensgefährten unserer Gastgeberin. Wir Frauen sitzen sehr eng am Esszimmertisch und nähen Mäuse und kleine Vögel.  Wir haben sehr viel Spaß. Drei Nachfahren der Sklaven sind heute Abend da. „Wir Deutschen müssen doch zusammenhalten“, erklären sie lachend.  Für mich ist der Abend  anstrengend, es sind immerhin zwei Kurse mit so vielen Teilnehmerinnen.  Draußen auf der Veranda geht es auch lustig zu, die Männer trinken ihr Bierchen und haben viel zu erzählen.

Eine Frau will ihren Tannenbaum mit Mäusen behängen und mir ein Foto schicken. Zum Abschluss des Abends schenken sie mir eine gehäkelte Schildkröte als Türstopper. Sie ist süß und sehr nützlich und spontan nenne ich sie „Orlando den 2-ten“.  Beim Abschied werden wir noch einmal in den Arm genommen und gedrückt und dann geht es nach Hause.

 

Mittwoch, 1. Oktober

Heute Morgen werden wir von Loivo abgeholt. Wir kennen ihn schon aus Deutschland vom Besuch der Volkstanzgruppe.  Mit seinen 35 Jahren ist er noch Junggeselle und alle Verwandten und Freunde fragen sich, ob er denn wohl  heimlich eine Braut in Petto hat. Zuerst geht es zum Rathaus in Westfalia.  Ein ganz neues Fachwerkhaus. Die Mülleimer auf dem Parkplatz  und im ganzen 2800 Einwohner zählenden Ort sind große Holzschuhe aus Metall. Die Buswartehäuschen sind Fachwerk nachempfunden. Wir lernen die Mitarbeiter und den Arbeitsplatz von Loivo kennen, der hier auf dem Amt seine zweite Stelle hat. In seiner Freizeit bewirtschaftet er noch den elterlichen Hof und eine Schweinezucht.  Alle sprechen hier deutsch und sind stolz auf die Entwicklung, die ihre Gemeinde  nach der Abspaltung von Teutônia genommen hat. Große Bilder – Luftansichten- zeigen die landwirtschaftliche und  wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Stadtteile. Loivo erklärt uns die Ausdehnung seines elterlichen Betriebes. Acker, Wald und Wiesen gehören dazu.

Nicht weit entfernt- alle wichtigen  Punkte liegen entlang der Hauptstraße- finden wir die Schule. Wir besuchen eine Deutschklasse, 7. Schuljahr. Zuerst sind die Kinder sehr schüchtern – ganz anders als wir das aus dem Norden kennen - und trauen sich nicht deutsch zu sprechen.  Wir stellen uns vor und erzählen aus Deutschland. Als wir aber über Fußball reden, kennen sie einige Namen: Klinsmann, Ballack, Schweinsteiger. Na, etwas hat der Deutschunterricht ja doch gebracht.  Dann aber werden sie munterer und wir erfahren, dass sie in einem Schulprojekt Seife herstellen. Die Kinder verkaufen die Seife in der Bekanntschaft, um ihre Klassenfahrt zu finanzieren.

Wir wollen wissen wie das geht. Die Schüler reden alle durcheinander:

Aus altem Speiseöl, Soda und Wasser wird ein dicker Brei gekocht, der dann erhärtet und verpackt wird. Ob wir das auch machen, wollen sie wissen. Ich bin sehr skeptisch.  Aber wir geben noch gute Tipps für den Verkauf der Seife: etwas Duftaroma zugeben und die Seife  formen. Spontan  schenken uns die Kinder ein Stück Seife zum Ausprobieren.  Wir haben mit unserem Besuch die Schule aufgemischt, die Schulleiterin kommt noch dazu, wir müssen Fotos machen und dann noch eine zweite Klasse besuchen. Alle wollen mal nach Deutschland.  Wir erklären ihnen wie wichtig es ist, eine Fremdsprache – Deutsch oder Englisch-  zu lernen, denn die Brasilianer haben einen sehr schwachen Sprachunterricht. 

Draußen vor der Tür treffe ich Rosi wieder. Sie arbeitet hier in der Küche.  Beide Gruppen (In Brasilien gibt es meist zwei Gruppen in den Schulen, da die Räumlichkeiten häufig nicht ausreichen. So wird vormittags die eine Hälfte, und nachmittags die andere Hälfte unterrichtet.) bekommen jeweils ein Essen. Ich erzähle ihr von der Seife und sie ist ganz begeistert. Sie putzt damit die Küche, ihre Turnschuhe und Flecken in der Kleidung werden auch damit entfernt.  Ich werde meine Seife dann mal zu Hause ausprobieren.

Gegenüber der Schule liegt die evangelische Kirche. Sie ist modern und groß. Die Familie Ahlert hat bei Familientreffen immer wieder für diese Kirche gespendet und so ist z.B. das Ambo  mit einer Spenderplakette „Familia Ahlert“ versehen. Auf dem Friedhof machen Anna-Lena und Hans-Jürgen noch ein paar Fotos für einen Zeitungsbericht.

Nach einem Schlenker – Loivo zeigt uns seine Schweinezucht von außen, denn er will uns nicht dem strengen Geruch, der sich sofort in der Kleidung festsetzt, aussetzen- fahren wir in den zweiten deutschen Ort: Teutônia.  Wir essen wieder in einem Kaufhaus „Kilo“, das gibt es hier überall und wir sind sehr zufrieden. Das Rathaus von Teutônia ist sternförmig angelegt. Lauter kleine Fachwerkhäuser beherbergen die Polizei, das Museum, die Bürgermeisterei und alle Behörden. In dem kleinen Museum sind Gebrauchsartikel aus der vergangenen Zeit ausgestellt. In einer Sonderausstellung zeigt man das Orchester eines  Musikers aus Teutônia, der auf 7 Instrumenten gleichzeitig spielen konnte. Bis  nach Europa waren die Tourneen dieses Mannes gegangen.  Der Leiter des Museums nimmt sich sehr viel Zeit, um uns alle Exponate zu zeigen. Selbst ältere Computer sind schon ausgestellt, ebenso wie Dreschflegel  von 1890.


Es ist sehr heiß als wir später bei Loivos Eltern am Kaffeetisch sitzen. Sie freuen sich, dass wir kommen und haben einen Imbiss vorbereitet. Sie erzählen von früher und zeigen uns  die Bilder der Alten.  Die Deutschstämmigkeit ist ihnen sehr wichtig. Als wir aus dem Norden erzählen,   ungläubiges  Staunen. Sie leben hier in einer ganz eigenen kleinen Welt.   Hof und Einrichtung erinnern mich  an die Zeit vor 30-40 Jahren in Westfalen auf den Bauernhöfen. Auch Hans-Jürgen hat ähnliche Erfahrungen, wenn er sich an die Höfe seiner Verwandten im Sauerland erinnert, die er vor 30 Jahren besucht hat. Die Zeit ist hier  nicht stehen geblieben, aber die Moderne hat noch nicht Einzug gehalten.

Ein Geräusch lässt mich aufhorchen, ich bin neugierig geworden. „Das sind Frösche“, sagen Loivos Eltern, „sie kommen ins Haus, es wird bald Regen geben.“ -  Ach so. Hier ist die Natur noch in Ordnung und man kann sich auf die Zeichen verlassen. Als wir aufbrechen ist die Sonne verschwunden, aber wir fahren trotzdem noch einen Berg hinauf. 9,5 Km  sind es, bis wir unser Ziel, einen Stausee erreicht haben. Er versorgt Westfalia mit Strom und dient als Ausflugsgebiet. Die Sicht ist nicht besonders gut, aber wir machen noch einen Spaziergang um den See. So ist der Kuchen auch verdaut. Es war ein guter Tag und Loivo hat sich sehr viel Mühe gemacht uns seine Welt zu zeigen.

 

Zurück in Lajeado erfahren wir, dass Andresa, Lucildos und Gertas Tochter, auf uns wartet. Sie wohnt ganz in der Nähe und ist Architektin.  Sie bewohnt das Fachwerkhaus ihrer Großeltern. Das sollte abgerissen werden, aber sie hat es abgebaut und hier in der Siedlung wider aufgebaut. Unter dem Haus die Garage, so wie hier üblich. „Anfangs haben die Leute den Kopf geschüttelt“, berichtet Andresa.  Als sie uns durch das Haus führt erkennen wir, dass es sehr viel Charme hat. Weitgehend im alten Stil eingerichtet macht es einen guten Eindruck.  Die alten Holzbalken liegen frei, Holzfenster und Türen  geben eine gemütliche Atmosphäre. Auf der Veranda entdecken wir eine Hängematte- so vereint sich das Land der Teutonen mit  Brasilien.

 

Donnerstag, 2. Oktober

Es ist 12.00 Uhr Mitternacht brasilianischer Zeit. Ich hatte den ganzen Tag keine Zeit zum Schreiben. Heute  Morgen waren wir in zwei Geschäften, die Halbedelsteine aus der Region anbieten und haben eingekauft. In den Läden gab es viele Anhänger, Ohrringe und geschliffene Steinplatten.    Das Gebiet um Lajeado ist bekannt für seine Steine und viele werden nach Deutschland, Idar-Oberstein exportiert.

Es war sehr schwierig das Richtige zu finden, aber am Ende waren alle zufrieden mit dem Einkauf.

Nach dem Mittagessen wurden wir von einem älteren Mann namens Helio abgeholt und fuhren zunächst in das Büro von Certel, der Versorgungsfirma für Strom und Inhaber der Agrargenossenschaften und Agrarläden, die wir schon in der Stadt kennengelernt hatten.  Der Direktor Egon Edio Hoerlle lud uns in sein Büro ein und wir hatten ein interessantes Gespräch über die Stromversorgung und Strompreise in Brasilien und Deutschland. 41.000 Haushalte versorgt der Konzern mit Strom und der Direktor wusste zu berichten, dass davon eine ungeheure Zahl deutschstämmig sei, wie die Kundenlisten zeigen. Natürlich gab es fürchterlich süßen Kaffee und natürlich  wurde Deutsch gesprochen. 78% der Energie zieht Brasilien heute aus der Wasserkraft, das bedeutet, dass der Preis hier sehr niedrig ist, da nur die Investitionen für die Kraftwerke anfallen, aber sonst keine Kosten für Brennmaterial wie Gas und Öl.  Außerdem haben die Brasilianer keine oder nur geringe Heizkosten, denn selbst im Süden ist der Winter relativ mild.  Wenn  sie Häuser bauen können sie auf Heizungsrohre und Isolierung verzichten. Ganz nebenbei erfahren wir, dass schon seit dem frühen Morgen im Radio über uns berichtet wird und zu dem zweiten Vortrag eingeladen wird.  Der Radiosprecher betont auch immer wieder, dass wir eine Reise mit den Franziskanern durch den Norden gemacht haben. Da  die Menschen hier sehr wenig Ahnung davon haben, können wir auch unseren Erfahrungen berichten und fügen auch immer an, dass Brasilien ein reiches Land ist, das die Armut im Norden in den Griff bekommen müsste.  Nicht immer erfahren wir Zustimmung, aber einige unserer Gesprächspartner werden doch nachdenklich. Auch Egon Hoerlle wird abends zum Vortrag kommen, versichert er uns beim Abschied. Wir sind erstaunt, dass wir diesen  Mann einfach so treffen konnten. Ich glaube, in Deutschland den Chef der RWE aufzusuchen wäre ungleich schwieriger. Aber das ist brasilianische Gastfreundschaft.

Schräg gegenüber wohnt der evangelische Pastor der Gemeinde. Willi Böcker  begrüßt uns freundlich und zeigt uns stolz das Gemeindehaus. Neugierig schauen zwei seiner Töchter aus der Tür. Eine hat ein Baby, die andere ist hoch schwanger. In seinem Garten steht ein Nesperra-Baum (Amescha). Ob wir die mögen, fragt er und holt eine Leiter aus der Garage. Seine Tochter bringt eine Tüte. Wir essen und sammeln die Kerne. In Deutschland wollen wir eine Plantage anlegen. Er geht mit uns zur Kirche hinüber. Morgen ist eine Hochzeit und weiße Gardinen sind zwischen den Bänken gespannt. Dazu – oh Schreck- die unvermeidlichen Plastikblumen, die der Pfarrer auch nicht liebt.  „Die sind aber in“, so erzählt er.  Als er erfährt, dass wir im Norden in den Favelas gelebt haben, nimmt er ein bisschen Abstand.  Es ist ihm unwohl, denn  im Norden seien die Menschen doch noch stark mit heidnischen Kulten umgeben.  Er spielt auf die Herkunft der Schwarzen und den Naturreligionen aus Afrika an.  Seit dem Katholikentag  und den Vorführungen der Gruppe aus „ Simões  Filho“  haben wir gelernt, dass sich beide gut und harmonisch verbindet. Die Liebe zur „Mutter Erde“ und der Glaube an Gott und Jesus.  Beda hat uns gut vorbereitet.

 

Morgen hält Hans-Jürgen seinen zweiten Vortag über deutsche Geschichte in Teutônia. So schauen wir uns den Saal an, in dem die Veranstaltung steigen soll. Alles da. Der Verwaltungsangestellte  Jorge Lori Mörschbecher scheint Zeit zu haben und bei einem Tässchen Kaffe erfahren wir, dass seine Frau Italienerin ist und die Kinder gar kein Deutsch mehr sprechen. Er ist katholisch und da es Brasilien auch Priestermangel gibt- in Teutônia und Westfalia sind 6 katholische Gemeinden aber nur ein Priester- ist er so etwas wie ein ehrenamtlicher Diakon, der Gottesdienste in Gruppen abhält.  Wir erzählen ihm von unserer Arbeit in der Krankenhauskapelle in Ibbenbüren und er ist sehr begeistert und möchte mehr erfahren. Wir tauschen Visitenkarten aus und versprechen im Kontakt zu bleiben. Auch er wird mit seiner Frau zu dem Vortag kommen.  Es wird immer später, aber die Brasilianer haben immer Zeit, daran sind wir schon gewöhnt.

Als wir bei Elio ankommen, erwarten uns schon seine Frau, drei Katzen und ein Hund. Der Tisch ist reichlich  gedeckt und biegt sich fast. Gerade haben sie ihr Haus renoviert und es riecht immer noch nach Farbe. Wir essen Maniok-Brot. Das sind große dicke Kugeln mit viel Luft. Elio ist Lehrer für Landwirtschaft und hat in Teutônia die Landwirtschaftliche Schule aufgebaut. Lucildo war einer seiner Schüler und hat schon damals Eindruck  hinterlassen.  Elio ist stolz auf das, was sein ehemaliger Schüler erreicht hat.  Nun geht es in den Garten: Wir  erleben wie Ananas  wächst und eine blühende Pflanze.  Wie immer wird auch die Familie mit einbezogen und so fahren wir in der Dämmerung noch eben bei seinem Sohn und seiner Familie vorbei.  Sie bewohnen ein schickes Haus, mit Springbrunnen und Wasserlauf im Wohnzimmer.  Der ganze Stolz ist die kleine Enkelin, die ein Zimmer wie eine Prinzessin bewohnt. Alle Regale quellen über von Spielzeug und wir müssen an Ilha de Deus denken. Die kleinen Mädchen und Jungen, die überhaupt kein Spielzeug besitzen. Das tut manchmal weh.

Wieder ein vollgepackter Tag.  Aber er ist noch nicht zu Ende.



Für den Abend ist ein Pizzaessen mit

Hektor und Nilson, ihren Frauen und Lucildo mit Familie  vorgesehen. Die Pizzeria in Westfalia hat extra für uns geöffnet.  Als wir ankommen gibt es gleich etwas zu Essen: Drei Käse Pizza. Die Pizzen sind größer als eine Torte, werden in 12 Stücke geschnitten und angeboten. Jeder kann soviel nehmen wie er möchte. Dann kommt die nächste Sorte und so weiter. Und schließlich alles von vorn. Pizza bis zum Abwinken.  Zum Schluss die große Überraschung: Pizza mit weißer und brauner Schokolade, Smarties und Obst. Wir sind so satt und können und fast nicht mehr rühren. Und wir haben viel zu erzählen.  Die großen Flaschen Bier werden immer geteilt.  Hektor überreicht uns eine CD mit traditioneller Musik und einen großen Obstkorb. Wir wissen gar nicht wie uns geschieht. Wir müssen doch danken für die Zeit, die sie alle uns gewidmet haben?   Zum Glück hat Hans-Jürgen einige interessante Spielfilme über Dresden und die Mauer  mit  im Gepäck. Es wird vereinbart, dass die drei Familien sich gegenseitig einladen und die Filme gemeinsam  ansehen.  Draußen  beginnt ein Feuerwerk. „ Das war doch wirklich nicht nötig“. Wir gehen auf die Terrasse und schauen in die Nacht.  Ein großes buntes Höhenfeuerwerk über Westfalia. – Das Ende des Wahlkampfes. Die Partei bedankt sich mit einem Feuerwerk. Der Abschied von mehr als fünf Wochen Wahlkampf wird lautstark gefeiert.  Wir haben  ja den Aufwand an Fahnen, Plakaten und Lautsprecherwagen  in der Zeit miterlebt. Nun ist Ende und alle hoffen, dass am Sonntag ihre Partei gewinnen wird.  In Deutschland ist es schon Morgen als wir endlich ins Bett kommen.

 

Freitag, 3. Oktober

Um 8.00 gibt es Frühstück. Ich mache eine große Schüssel mit Obstsalat. Lucildo freut sich und meint: „Und wer macht mir das am Sonntag?“  Er hat sich Zeit genommen, Vorlesungen umgelegt und Gespräche verschoben. Am letzten Tag unseres Aufenthaltes möchte er mit uns noch die Familie, seine Mutter und seinen Bruder besuchen.

Pünktlich sitzen wir im Auto und unser erstes Ziel sind Matetee-Plantagen. Da die Brasilianer Mate zu allen Gelegenheiten trinken, sollen wir  erfahren wie die Pflanze aussieht und wie sie wächst.   Auf einem Feld finden wir die Teebäume.  Unter ihnen wird als Bodendecker Tabak angepflanzt, damit der Boden nicht austrocknet.  Nach der Besichtigung kehren wir nicht auf die Hauptstraße zurück, sondern in vielen Kurven geht es über Land bis wir das Elternhaus von Lucildo erreichen.  Vier Generationen erwarten uns auf dem Bauernhof. Lucildos Mutter, sein Bruder mit Frau, deren Sohn mit Frau und Kindern.  Alle haben sich für heute den Tag so eingeteilt, dass sie Zeit haben. Wir sitzen im großen gefliesten Esszimmer in einer Runde und unterhalten uns. Was finden sie bloß an uns Deutschen?

Ich möchte gerne Zuckerrohr probieren. Kein Problem, denn  wir machen sowieso einen Rundgang. Mit der Machete schlägt Lucildos Schwägerin einige Zuckerrohrstangen ab. Sie werden geschält und dann endlich können wir probieren. Es schmeckt süß und man kann eine Weile auf dem Stängel kauen. Ich möchte wissen, was sie damit machen? – „ Es wird gehäckselt und an die Kühe verfüttert.“ Die Milch schmeckt aber nicht süß.

Im Gemüsegarten erzählen sie, dass sie Selbstversorger sind. Alles was auf den Tisch kommt-bis auf Reis- stammt vom eigenen Hof.  Da entdecke ich ein paar kahle Stangen: Es ist Maniok. Ich muss unbedingt mal eine Stange aus der Erde herausziehen und finde am Ende der Stange eine braune Knolle. Das war wieder etwas, was ich noch nie in meinem Leben gemacht habe.

Es geht weiter in die neue Melkanlage, ich frage und bekomme höchst kompetente Antworten. Alles auf dem Hof ist gut durchdacht. Das erfahren wir auch im Schweinestall.  Ich gehe nicht mit hinein, es stinkt. Aber es ist was für Anna-Lena unsere Vegetarierin.  Ach wie süß, schnuckelig … heißt es und der Photoapparat klickt und die Kamera surrt.

Wir erzählen ihr, „Die Ferkel mit den putzigen Ringelschwänzchen werden mit 25 kg Gewicht in den Wald entlassen und leben dann glücklich in Freiheit. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann …“  Im ersten Teil des Stalls liegen die Zuchtsauen. Sie werden so befruchtet, dass sie in der Regel ihre Jungen an den Wochentagen bekommen.  Diese bleiben dann  23 Tage bei der Mutter, dann verkauft der Bauer von 75 Schweinen 25 weiter an Züchter. 25 werden bis 23 kg gemästet und verkauft; 25  weitere bis 100kg.  Immer werden auch Schweine und Kälber für den Eigenbedarf gehalten. Im Haus gibt es plötzlich einen großen Becher Caipirinha. Ich bin enttäuscht:  Leider wird er wie Chimarong  weitergeben.   Der Drink läutet das Mittagessen ein,  neben Kartoffeln, Reis und Gemüse natürlich viel Fleisch. Alle sind traurig als wir aufbrechen müssen.

 

Am Rand der Straße steht ein kleines Fachwerkhaus. Das erste das Christian Ahlert, der Urvater der Ahlerts, gebaut hat. Seine Nachkommen haben ein Museum daraus gemacht. Altes Werkszeug, Haushaltsgeräte und Bilder der Vorfahren werden hier gezeigt. Es ist ein Einraum-Haus und man kann sich vorstellen, wie primitiv die damaligen Siedler in der Anfangszeit hier in Brasilien gelebt haben.

 

Wir halten am Ortschild von „Berlin“- „Berlin liegt in Westfalen ganz in der Nähe von Italien“, spötteln die Brasilianer, die hier leben.  Ein Foto und es geht weiter. Auch „Neu-Rom“ findet sich irgendwo auf der Landkarte.

 

Es war einmal ein Mann, der hieß Horst. Horst war ein wenig eigenartig. Er kraxelte in den Bergen und im Urwald herum und suchte Kakteen.  Eines Tages brannte sein Haus ab und er musste sein Leben neu gestalten und von vorne anfangen. Er begann sein Kakteen zu verkaufen. Heute besitzen seine Kinder eine riesige Kakteenzucht. Alle möglichen Sorten, kleine  große, mit Stacheln und ohne.

Auch „Schwiegermuttersitze“ witzelt Hans-Jürgen und denkt dabei wohl an seine eigene und auch scheinbar an mich und Marie. Aber es war ihm nicht nachzuweisen.  Leider ist es verboten Pflanzen auszuführen,  sonst hätten wir bestimmt einige gekauft.

 

An einem kleinen fantasievollen Haus halten wir an.  Ein schön gestalteter Garten lädt zum Verweilen. Hier wohnt eine Frau, die Schokolade macht, verrät uns Lucildo. Wir dürfen probieren und uns die kleinen Kunstwerke ansehen Die Schokolade in Deutschland schmeckt besser, bemerken wir, kaufen aber einige Kleinigkeiten aus dem köstlichen Angebot.

 

Und schon wieder biegt Lucildo ab. Ein kleiner Gutshofmit Blumenbeeten und einem westfälischen Haus beherbergt eine Zuckerrohrschnapsbrennerei.  Die Besichtigung ist frei. Lucildo, der schon häufiger mit seinen Studenten hier war, spielt den Fremdenführer bis der Besitzer auftaucht:  Das Zuckerohr wird zunächst gequetscht, damit der Sirup austritt, der wird gesammelt. Die Kühe auf der Wiese nebenan werden mit dem Abfall gefüttert.  Das Kleingeschrotete geht an eine Hühnerfarm, deren Mist düngt wieder die Zuckerrohrfelder. Der Sirup wird nun 30 Stunden vergoren, dann gekocht und destilliert.  In Fässern gelagert und dann abgefüllt.  Zuckerrohrschnaps ist die Grundlage für Caipirinha.  Der Betrieb exportiert und beliefert die benachbarten Kunden und Geschäfte.  Ein neues Produkt ist Likör mit verschiedenen Geschmacksrichtungen.  Mit Schokolade gefällt uns nicht so gut, stellen wir fest, als wir die Palette von Schnäpschen durchprobiert haben.  Zwei Flaschen nehmen wir mit, denn Matthias bekommt ein Set mit Caipirinhabechern.

Uns bleibt noch genug Zeit um ein bisschen auszuruhen und uns auf den Abend vorzubereiten. Um 19.00 Uhr fahren wir zu dem Saal der Genossenschaft. Die Technik stimmt und der Raum füllt sich. Man muss noch Stühle aus den anderen Räumen holen. Und dann läuft alles super. Auch Zwischenfragen bringen Hans fast nicht aus dem Konzept. Es ist sehr leise und man merkt, dass alle aufmerksam zuhören. Ein Mann fragt:  „Hans, was sagst du zu der Mauer in Israel?“ Ich finde es immer noch gewöhnungsbedürftig, wenn man von ganz fremden Menschen geduzt wird. Aber auch Lucildo wird von seinen Studenten geduzt. Hans antwortet: „Menschen mit Gewalt zu trennen, …“



Nach dem Vortrag wird noch viel geredet, umarmt und eingeladen. Immer wieder hören wir  „und wenn ihr dann das nächste Mal wieder kommt…“  Es ist schon spät  als wir bei Lucildo und Gerta noch ein Bier und Maracujacocktail trinken. Unsere letzte Nacht in Lajeado.

 

Samstag,  4. Oktober

Lucildo und Angelo haben uns zum Flughafen gefahren. Es war traurig aber zugegeben, ich freue mich doch langsam auf meine Lieben zu Hause. Unsere Koffer werden wir erst in Greven wiedersehen. Hoffentlich. In zwei Stunden werden wir in São Paulo sein.

 

Wir sind in São Paulo gut angekommen. Hier haben wir bis zum Weiterflug nach Frankfurt vier  Stunden Aufenthalt. Uns ist langweilig. So richtig spannende Geschäfte gibt es hier nicht. Die Zollkontrolle hat nicht gemerkt, dass ich drei Äpfel mit hineingeschmuggelt habe.

Gerade waren Anna-Lena und ich im Duty-free Shop. Jetzt duften wir nach Dior. Für  Marie haben wir einen Bikini in brasilianischen Farben gekauft. Hoffentlich passt er auch.

Ich schaue mich mal so um. Hier in São Paulo sind die Menschen wieder dunkler. Uns gegenüber sitzt eine Indianerfamilie. „Wem gehört eigentlich dieses Land?“ frage ich mich. Was wäre geworden, wenn es nicht von den Portugiesen erobert worden wäre? Wenn man keine Sklaven aus Afrika geholt hätte? Wie geht es weiter?  Wir haben einen armen schwarzen Norden  und einen reichen Weißen Süden kennen gelernt .

Wir müssen einchecken und meine, schon sehr mitgenommene Kladde und der Kuli verschwinden wieder einmal im Rucksack.  Wir machen es uns im Flugzeug so gemütlich wie es eben geht. Es ist sehr eng. Hoffentlich kann ich schlafen.   „Adeus, ate a próxima Brasil - Auf Wiedersehen Brasilien, bis zum nächsten Mal und Gute Nacht“.

 

Sonntag, 5. Oktober

Wir haben wieder deutschen Boden unter den Füßen. Es regnet und das bei 8 Grad.


Die Nacht war grausig. Ein Mann ist im Gang gestürzt. Er brauchte einen Arzt und hatte wohl etwas mit dem Herzen. Wir haben sehr wenig geschlafen. Unsere Beine sind einfach zu lang und wir wussten nicht wohin damit.  Nur Anna-Lena ist munter. Jetzt warten wir auf den Weiterflug nach Greven.  Nach langen Wegen und Umwegen auf dem  Airport Frankfurt steigen wir in eine kleine Lufthansamaschine mit 30 Sitzplätzen, die nur halb ausgebucht ist.  Geschäftsreisende, mit kleinem Koffer und Aktentasche.

Ich mache mir Sorgen um unsere Koffer und um den Inhalt. Krampfhaft schaue ich aus dem Fenster der Maschine, um zu sehen, ob unsere Koffer wohl eingeladen werden.

Am Flughafen in Greven werden wir von einer jungen, sehr energischen Polizisten gefragt. Was haben Sie im Koffer?  Meine Knie zittern. „Ganz cool“, wie Anna-Lena später sagt,  zähle ich die Geschenke auf. Es ist spät  und Sonntag. Sie hat wohl keine Lust auf eine Kontrolle und lässt uns durch.

Draußen werden wir von unseren Kindern und vielen Freunden herzlich empfangen. Gleich mehrere Schilder mit „Herzlich willkommen zu Hause, Los Himstedts“  begrüßen uns. Auch Anna-Lena und Marie brauchen diesmal ein Taschentuch. Zuhause ist der Küchentisch für viele Leute festlich gedeckt. Wir essen, verteilen Geschenke und reden und reden. Es ist schön wieder zu Hause zu sein.

 

 

PS:

-          In dem Päckchen, das man uns in Rio zugesteckt hat, waren 14.oooDM.

-          Die Wahlen sind für fast alle Projekte nach Wunsch verlaufen.

-          Der Bürgermeister hat Schwester Aurieta ein Haus in der Wohnsiedlung, in der wir Suppe ausgeteilt haben, geschenkt.  Hier soll in nächster Zeit ein neues Projekt entstehen.

-          Das Projekt in Salvador ist in Gefahr, denn das Gelände soll verkauft werden.

-          Die selbstgemachte Seife aus der Schule in Westfalia wirkt wahre Wunder. Sämtliche Flecken, die normalerweise jede Hausfrau verzweifeln lassen, gehen raus!

-          Nie wieder werde ich so viele verbotene Dinge (Mango, Papaya, Sand, Honig, Zuckerrohr, Samen,…) in meinem Koffer haben. Die Polizistin am Flughafen zu belügen und die Angst entlarvt zu werden, war sehr schlimm für mich. Es wird mir eine Lehre sein.

-          Diese Reise war für uns Drei ein wirkliches Abenteuer. Wir haben uns in ganz neuen Situationen und im Umgang mit Menschen kennen und lieben gelernt.

-          Als Hans-Jürgen umringt von den Kleinsten der Insel war, wusste ich auf einmal, warum er auf der Welt ist. Um Kinder in den Arm zu nehmen, um sie zu trösten und ihnen zu ihren Recht verhelfen. Er hat immer auf der Seite der Kinder gestanden. Jahrzehntelang in der Schule und er wird es weiter tun.

-          Mein größter Wunsch einmal umringt von vielen schwarzen Kindern zu basteln und mit ihnen zu spielen ist in Erfüllung gegangen.

-          Und unsere Anna-Lena ist einfach „Spitze“.

 

 

Allen, die dieses Tagebuch lesen, wünsche ich, auch einmal in einem Regenbogen vor dem Wasserfall in Iguaçu  zu stehen. Das ist ein unglaubliches Gefühl.

 

 

Elisabeth Himstedt, Oktober 2008